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Hometrails

Kaddi Kestler ist Mountainbikerin durch und durch. Bei einem GONSO-Ride mit Freunden nimmt sie uns mit auf eine Gedankenreise und gibt so einen spannenden Einblick in ihre Sicht auf die Welt. Was die Natur und das Radfahren für sie bedeuten, lest ihr in unserer neuen Story.

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Was die Hometrails mit Horror zu tun haben...

...und warum wir definitiv im Paradies leben

Die Reifen meines Mountainbikes graben sich in den Isarschotter. Es ist noch früh an diesem Sonntag und schweinekalt. Ich wäre lieber im Bett geblieben und bin froh, dass ich mir alle Schichten angezogen habe, die Jens-Nico uns gestern Abend gegeben hat. Sogar das warme Merino-Unterhemd. Aber ich weiß, dass ich mindestens ein Teil bald wieder ausziehen muss. Der Wetterbericht hat mal wieder einen viel zu warmen Oktobertag angesagt und die Sonne steht schon in den Startlöchern tief hinter den Bäumen am Isarhochufer.

Hometrails und Horror

Würde mir der kalte Fahrtwind die Falten im Gesicht nicht glattziehen, wäre meine Stirn wohl ziemlich gerunzelt. Denn in meinem Kopf spukt eine meiner größten Horrorvorstellungen umher. Es ist bestimmt einigermaßen außergewöhnlich, einen Text über einen kleinen Radausflug mit Freunden auf den Hometrails mit Horror zu starten. Aber ihr werdet noch herausfinden, warum. Und ich verspreche euch ein Happy End.

Flo und ich sind spät dran, weil ich meine Fahrradbrille nicht gefunden habe. In Grünwald wollen wir uns mit Fotograf Michi und meiner Munich Mountain Girl Kollegin Marta zum Kaffee treffen, bevor wir auf die Trails starten. Und während ich mich darüber ärgere, dass mir regelmäßig Dinge abhanden kommen, und gleichzeitig versuche, Flo nicht abhanden zu kommen, sondern an seinem Hinterreifen zu bleiben, schleicht sich die Horrorvorstellung in meinen Kopf.

 

Raumschiffe und Isarkrebse

Ihr kennt doch bestimmt alle diese dystopischen Sci-Fi Movies, in denen die Menschen in einer cleanen, weiß-grauen und sterilen Indoor-Welt leben. Auf einer von Atomkatastrophen, Naturgewalten oder Außerirdischen zerstörten Erde. Oder auf einem anderen Planeten. Oder in einem Raumschiff. Egal wo, jedenfalls drin. Durch eine Hülle abgetrennt von der lebensfeindlichen Außenwelt. 

Es ist eine Welt, in der garantiert kein von einem Fressfeind auseinander gerupfter Krebs mitten auf dem Schotterweg entlang der Isar liegt. In dieser Welt bleibst du dann sicher nicht stehen, weil du dich wunderst, dass es wirklich soooo große Krebse in der Isar gibt. Denn die Krebse, die es in der Welt der Zukunft gibt, hat irgendeine Maschine ins tausendmal gefilterte und gechlorte Wasser programmiert. 

So eine gemeine, niedrige Morgentemperatur programmiert die Maschine sicher nicht, denke ich, während der Abstand zwischen mir und Flo immer größer wird. Vor allem nicht, um dann in knapp einer Stunde den Regler plötzlich zehn Grad höher zu schieben. Das ist nicht sonderlich sinnvoll und kein Stück effizient. Die Ressourcen sind eh knapp. Energie das höchste Gut. Vermutlich hat es in der Welt der Zukunft konstante 19 Grad. Primaloft gefütterte Winterklamotten haben also ausgedient. Sorry GONSO. 

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Highlights der Draußen-Welt

Ich frage mich, ob es Menschen gibt, die so ein Leben in der Drinnen-Welt der Zukunft total kommod fänden. Denen es egal ist, ob ihnen der kalte Fahrtwind nie mehr die Falten glatt zieht, oder sie in ihrem ganzen Leben nicht über tote Isarkrebse staunen können. Und dabei sind das wahrlich nicht gerade die Highlights des Lebens auf unserer Draußen-Erde. Aber auch Highlights sind an diesem Sonntagmorgen südlich von München an der Isar massig am Start: Nebel, der mystisch aus den noch warmen Wiesen in die kalte Luft verdampft. Tropfen an Grashalmen, die in der Sonne glitzern. Strahlendes Rot, Gelb und Orange in den Baumkronen. Farben, die sich gegenseitig selbst überbieten. Raschelndes Laub auf den Trails, das einem das weiche Gefühl gibt, auf Kissen zu fahren. Das Plätschern des klaren Isarwassers. Ruhe.

 

Wir leben im Paradies 

Neulich habe ich eine Doku über Katar gesehen. Der Reporter war im Sommer in dem Wüstenstaat, der meiner dystopischen Horrorvorstellung in Teilen schon ganz nahe kommt. Ich war zwar nie dort und urteile nur bequem aus der Ferne. Aber das ist ja ohnehin viel praktischer, um die eigenen Vorurteile zu bestätigen. Jedenfalls erzählt der Reporter, dass aufgrund der Hitze von über 40 Grad das Leben in Doha, der Hauptstadt Katars, im Sommer quasi nur Indoor stattfindet. In riesigen klimatisierten Shoppingmalls. Da kann man dann auf einem künstlichen Kanal unter einem künstlichen Himmel und zu italienischer Musik aus den Lautsprechern in einer venezianischen Gondel fahren. Ich glaube, die war sogar aus echtem Holz. Aber genau weiß ich es nicht, es war nur im TV. 

Meine Hosenbeine sind nass, weil wir am Strand durchs Wasser gefahren sind. Mir ist viel zu warm, die Sonne hat es mittlerweile über die Baumkronen geschafft. Ich bücke mich, hebe einen Isarkiesel in Herzform auf und stecke ihn in die Seitentasche meines Hipbags. Ich finde heute ziemlich viel unbequem und nervig, aber mit der Vorstellung einer künstlichen Welt kann ich mich einfach nicht anfreunden, mir würde so viel fehlen, denke ich, während ich der Isar beim Vorbeifließen zuschaue. “Wir leben einfach im fucking Paradies”, sagt Marta neben mir, als könnte sie meine Gedanken lesen. Sie hat so recht. Was für ein Privileg ist es doch, in einer Millionenstadt aus der Haustür zu gehen und nur wenige Minuten später mitten in der Natur zu stehen. 

Ein Paradies für uns alle 

Natürlich sehen das heute an diesem Schönwettersonntag viele so. Am Morgen waren wir noch recht allein auf den Trails rund um Grünwald. Doch während wir auf dem Radweg aka Isar Highway wieder Richtung Zentrum radeln, drängen immer mehr raus aus der Stadt Richtung Süden. Zu Fuß, mit Mountainbikes, Rennrädern, Gravelbikes, E-Bikes, Stadträdern, E-Rollern. Mit Hunden, Kindern, Grillequipment. Familien, Freunde, Ehepaare. Fahrradanfänger und Tour de France Anwärterinnen. Jedes Alter. Alle Level. Ganz München. Wir fahren Slalom durchs Gewusel. Ich bin erst genervt. Und freue mich dann. Für die anderen, für uns alle. Ich wünsche mir, dass es ihnen heute ähnlich geht wie mir. Dass sie frieren, schwitzen, staunen. Dass sie heute im kleinen, ganz nah an der Stadt ein kleines Abenteuer und das echte, manchmal unbequeme Leben erleben. Dass sie es auch sehen können, unser Paradies. Dass es ihnen bewusst wird. Und dass wir alle gemeinsam darauf aufpassen. 

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Die Outfits

von Kaddi, Flo und Marta